Heterogenität und Bildungsmedien - Heterogeneity and Educational Media

von: Bente Aamotsbakken, Eva Matthes, Sylvia Schütze

Verlag Julius Klinkhardt, 2017

ISBN: 9783781555983 , 370 Seiten

Format: PDF, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 26,90 EUR

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Heterogenität und Bildungsmedien - Heterogeneity and Educational Media


 

Werner Wiater
Die Individualisierung des Unterrichts als Lösung des Heterogenitätsproblems?!
Vom Lernen „à la carte“ zum digitalen Lernen (S. 39-40)

Abstract

For about ten years, school pedagogy has been trying to solve the problem of the students’ increasing heterogeneity by individualizing the contents, methods, and media in schools. The following two examples illustrate this: on the one hand, Open Instruction with learning bars and buffets, and, on the other, personalized learning in the new American AltSchools, supporting the pupils with digital learning material, tailored on their needs. Both examples are subjected to critical examination. Seit in den 1980er-Jahren die deutsche Schulpädagogik Unterrichtsverfahren der Reformpädagogik für sich wiederentdeckte, ist der Offene Unterricht in allen Schulformen, Schulstufen und Schulfächern zum didaktischen Ort für Differenzierungs- und Individualisierungsmaßnahmen im Unterricht geworden. Mit der Digitalisierung des Lernens und Unterrichtens, die seit fünf Jahren verstärkt diskutiert wird, haben sich zusätzliche, neue Möglichkeiten der Individualisierung beim Lernen ergeben. Auf beides wird im Folgenden kritisch eingegangen.

1. Der Offene Unterricht – eine geeignete Lernform für heterogene Lerngruppen und individualisierten Unterricht

Offener Unterricht ist ein Sammelbegriff für unterschiedliche Bereiche, in denen Schule und Unterricht sich öffnen können. 1992 schon definierte W. Wallrabenstein: „Offener Unterricht ist ein Sammelbegriff für unterschiedliche Reformansätze in vielfältigen Formen inhaltlicher, methodischer und organisatorischer Öffnung mit dem Ziel eines veränderten Umgangs mit dem Kind auf der Grundlage eines veränderten Lernbegriffs.“ (Wallrabenstein 1992, S. 54; vgl. auch Peschel 2006) Hinzuzufügen wäre noch eine pädagogische Öffnung seitens der Lehrkräfte. Konkret bedeutet diese Öffnung des Unterrichts
(1) in inhaltlicher Hinsicht, dass grundsätzlich alle Inhalte des persönlichen, öffentlichen und wissenschaftlichen Bereichs didaktisch qualifizierbar sind und im Unterricht behandelt werden können, d.h. nicht nur die im Lehrplan vorgesehenen und auch nicht nur die vom Lehrer/von der Lehrerin vorgeschlagenen;
(2) in methodischer Hinsicht, dass die Unterrichtsmethoden permanent weiterentwickelt und neu ausgearbeitete Methoden im Unterricht berücksichtigt werden sollen, wobei der Schwerpunkt dabei auf Methoden der Selbsttätigkeit, des handelnden Umgangs mit den Lerninhalten, der Schülerkreativität und der Schülermotivierung liegt;
(3) in organisatorischer Hinsicht, dass „nach innen“ die Unterrichtsfächer sich nicht länger gegeneinander abschotten, der 45-Minuten-Takt aufgehoben und der Unterricht rhythmisiert wird, Lehrkräfte in Teams arbeiten, der Klassenraum ein Lernund Lebensraum wird u.v.m. und dass „nach außen“ der Unterricht Eltern und außerschulische Experten einbezieht, dass er kooperativ mit anderen Schulen und Schulformen durchgeführt wird (z.B. Regelschule – Förderschule), dass ein Lehreraustausch zwischen den Schulformen und im Kindergarten mit den Erzieherinnen und Erziehern geschieht u.v.m.;
(4) in pädagogischer Hinsicht, dass der Unterricht den veränderten Lern- und Lebensbedingungen der Kinder und Jugendlichen Rechnung trägt und ihm ein Bild vom individuell und systemisch-konstruktivistisch Lernenden zugrunde liegt, der außer auf Erziehung und Bildung auch ein Recht auf Förderung und Beratung hat; eine pädagogische Hinsicht ist es auch, dass Leistung begrifflich weit gefasst ist, d.h. nicht nur das Kognitive und Pragmatische, sondern auch das Emotionale, das Soziale, das Kommunikative, die Selbstkompetenz und die Lern- und Arbeitstechniken umfasst (vgl. Wiater 2015, S. 106ff.).

Offener Unterricht ist demnach ein Unterricht, der sich den Fragen und Interessen aller am Lehr-Lern-Prozess Beteiligten öffnet, der die Heterogenität und die Individualität der Lernenden didaktisch ernst nimmt, der durch aktivierende und handlungsorientierte Methoden Schülern und Schülerinnen zur Selbstständigkeit und Selbstverantwortung und damit zur Mündigkeit/Emanzipation verhelfen will und der die Lehrkraft in einer Doppelrolle sieht, nämlich als Planer und Organisator der Lernaufgaben und als Lernberater und Lernhelfer während der lernaktiven Tätigkeit der Schülerinnen und Schüler. Unter dem Gesichtspunkt der Unterrichtsplanung betrachtet, handelt es sich beim Offenen Unterricht um eine indirekte Steuerung des Lehr-Lern-Prozesses durch die Lehrkraft. Diese plant den Unterricht durch die Auswahl von Materialien zu bestimmten Teilaspekten eines Unterrichtsthemas und verbindet mit diesen differenzierte Arbeitsaufträge für die Schüler und Schülerinnen, d.h., sie konstruiert eine multimediale, multisensorische und multiperspektivische Lernumgebung. Der Begriff Lernumgebung, der sich in den letzten zehn Jahren etabliert hat, meint ein planvoll gestaltetes Arrangement von – in der Form von geeigneten Selbstlernmaterialien für Schüler und Schülerinnen aufbereiteten – Lerninhalten, die Teilaspekte eines größeren schulfachbezogenen oder fächerübergreifenden Sachzusammenhangs sind und die differenziert (z.B. nach Vorkenntnissen der Schüler und Schülerinnen, nach Schwierigkeitsgraden, nach Bearbeitungszeit, nach verschiedenen Lernweisen, nach der Lernfähigkeit der Schüler und Schülerinnen oder nach deren Interessen), mit unterschiedlichen Medien repräsentiert und möglichst lebensnah-anwendungsbezogen ausgearbeitet sind.