Der Sachunterricht und seine Konzeptionen - Historische und aktuelle Entwicklungen

von: Bernd Thomas

Verlag Julius Klinkhardt, 2017

ISBN: 9783781556065 , 170 Seiten

5. Auflage

Format: PDF, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 13,90 EUR

Mehr zum Inhalt

Der Sachunterricht und seine Konzeptionen - Historische und aktuelle Entwicklungen


 

2 Geschichte des Sachunterrichts – Klärung der historischen Voraussetzungen (S. 15-16)

2.1 Sachunterricht unter theologischem Vorzeichen

Im Allgemeinen wird der Beginn des Sachunterrichts in seiner Ausprägung als ein grundlegender Realienunterricht mit Wolfgang Ratke (lat. Ratichius; 1571-1635) und vor allem mit Comenius verbunden (vgl. z.B. Siller/ Walter 1999, S. 13). In seinem Werk „Orbis sensualium pictus“, das 1653 in lateinischer Sprache und dann 1658 auch auf Deutsch erschien, schuf Johann Amos Comenius (1592-1670) erstmals ein Lehrwerk für den Unterricht, das mit Hilfe von Bildern (Holzschnitte) Sachwissen und Sprachwissen (Latein und Muttersprache) miteinander verband. Das wichtige Unterrichtsprinzip der Anschauung ist auf dieses Unterrichtswerk zurückzuführen. Comenius kritisierte an dem zeitgenössischen Unterricht den bloßen Verbalismus, der Sprache ohne die Sachen lehrte. Die daraus entspringende Einschätzung, Comenius sei der Begründer des pädagogischen Realismus gewesen, muss allerdings seit den Befunden von Schaller etwas eingeschränkt werden. Dieser weist darauf hin, dass Comenius die Weltordnung als gottgegeben auffasst und den Menschen nur dazu auffordert, die Dinge aus Gehorsam zu Gott und nicht aus freiem Willen zu gebrauchen (vgl. Schaller 1962, S. 359). Insofern ist der „Orbis sensualium pictus“ ein Allegorienbuch, das die göttliche Schöpfung anschaulich machen will und schon zeitgenössisch nicht immer auf der Höhe der Erkenntnisse war (vgl. Nießeler 2010, S. 46 und 54f.).

Auch ein weiterer Vordenker des frühen Sachunterrichts ist noch voraufklärerisch zu verorten, denn der Pietist August Hermann Francke (1663-1727) argumentierte ebenfalls theologisch. Ab 1695 rief Francke in Halle an der Saale mit seinen Waisenhäusern eine Schulgründung ins Leben, die in ihrer Hochzeit über 2000 Zöglinge beherbergte. Unverzichtbarer Bestandteil dieses florierenden pädagogischen Unternehmens war der konkrete Umgang mit den Sachen in Form von handwerklicher, landwirtschaftlicher und landbaulicher, gärtnerischer und werktätiger Arbeit. Um diese aber angemessen ausführen zu können, benötigt der Mensch handfesten Sachverstand und solides Sachwissen. Allerdings nicht zum freien Gebrauch der Dinge oder Sachen, sondern um „wahre Gottseligkeit“ einerseits und „christliche Klugheit“ andererseits zu erwerben (vgl. Schmidt 1972, S. 18). Diese wird in Form praktischer Lebensbewältigung in den Dienst des Nächsten gestellt, womit Gottes Wille erfüllt wird. Franckes Realienunterricht war damit eng in die pietistische Glaubensauffassung eingespannt, die noch von einem von der Erbsünde bestimmten negativen Menschenbild ausging (vgl. Ringshausen 1979, S. 89f.). In der Folgezeit führte Franckes Pädagogik zur Gründung von zahlreichen Realschulen und beförderte damit den Realienunterricht in Preußen landesweit. Obwohl Franckes Realienunterricht nicht auf Emanzipation abzielte, bleibt festzustellen, dass Realienunterricht unterschwellig immer aufklärende Momente beinhaltet, da er sich der diesseitigen Welt zuwendet und diese rational erschließt. Vollends zum Durchbruch gelangte das Freisetzungspotential des Sachunterrichts in Form des frühen Realienunterrichts mit der Aufklärung.